Der Berner Stadtrat hat gestern einer Motion zugestimmt und so eine unabhängige Untersuchung des Miss Schweiz Einsatzes angeordnet. Zu diesem Anlass möchten wir gerne die pointierte Rede von Stadtrat und SP Sekretär Michael Sutter veröffentlichen:
"Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste
Unsere allgemeine Einschätzung des völlig missglückten Polizeieinsatzes anlässlich der Miss-Schweiz-Wahl hat Peter Marbet bereits vor einem Monat dargelegt, die will ich hier nicht wiederholen. Ich begründe aber im folgenden, weshalb wir uns klar für eine unabhängige Untersuchung aussprechen und der Meinung sind, dass die Stadt hier nicht einfach den Kopf in den Sand stecken darf und hilflos auf den Kanton verweisen.
Es geht hier nämlich nicht darum, was irgendwo in Hinterfultigen oder Oberlangenegg vorgefallen ist, sondern in der Stadt Bern – in unserer Stadt Bern – in der wir alle hier als StadträtInnen und GemeinderätInnen die politische Verantwortung tragen. Die SP kritisiert zwar schon lange, dass die geteilte Verantwortung zwischen Kanton und Stadt im Polizeibereich nicht zweckmässig ist, wir sind aber auch klar der Meinung, dass die Stadt die politische Verantwortung, die sie nun mal hat, auch wahrnehmen muss – auch wenn das schwierig ist.
Wir als Stadt Bern kaufen bei der Kantonspolizei Leistungen ein, für die wir auch bezahlen, dann können wir auch sagen, was wir für unser Geld wollen. Die bürgerliche Position, die wir das letzte Mal hier gehört haben, die Stadt habe nichts damit zu tun, wie sich die Polizei auf ihrem Boden aufführt, ist deshalb einfach nur abstrus.
Und sonst möchte ich gerne wissen, weshalb wir uns eigentlich eine ganze städtische Sicherheitsdirektion leisten – Nur für den Tierpark wohl nicht.
Dass die Stadt Polizeieinsätze nicht untersuchen kann, stimmt schlichtweg nicht. Leena Schmitter hat bereits ausgeführt, dass gemäss dem kantonalen Polizeigesetz (Art. 12f) die Polizei Auskunft geben muss, wenn eine Gemeinde einen Polizeieinsatz untersuchen will. Es scheint also vielleicht eher am Willen dazu zu fehlen. Es besteht jetzt die Gelegenheit herauszufinden, wie dieses Recht der Gemeinden auf eine Untersuchung in der Praxis umgesetzt werden kann. Vielleicht zeigt sich ja dann tatsächlich, dass dies nicht möglich ist. Das würde dann aber auch heissen, dass man hier gründlich über die Bücher muss.
„Die Justiz prüft ja jetzt das ganze und die ist ja so unabhängig und dann kommt es schon gut“. Das liest man auch im gemeinderätlichen Vortrag wieder.
Ernsthaft? – Ausgerechnet diejenige Staatsanwaltschaft, welche die DNA-Proben angeordnet hat, soll jetzt unter anderem untersuchen, ob ihre eigene Anordnung verhältnismässig was? – Das ist nur noch grotesk und hat mit einem rechtstaatlichen Verfahren gar nichts mehr zu tun. Inzwischen hat auch das Bundesgericht klar festgehalten, dass die präventive und unbegründete DNA-Sammlerei, die in Bern praktiziert wird, nicht rechtens ist.
Und die Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft betrifft ohnehin nur einen ganz kleinen Teilbereich des ganzen Einsatzes, wird also auf die Fragen in dieser Motion grösstenteils keine Antworten liefern können.
Roland Jakob hat hier vor fünf Wochen gesagt, wir müssten jetzt vor allem in die Zukunft schauen. Da bin ich vollkommen einverstanden, solche Vorkommnisse darf es in Bern einfach nicht mehr geben. Damit solches in Zukunft auch wirklich nicht mehr geschieht, muss man aber genau wissen, was schief gelaufen ist - und zwar nicht zum ersten Mal.
Nacktkontrollen beispielsweise scheinen bei der Kantonspolizei ein gängiges Mittel zur Einschüchterung und Erniedrigung von Festgehaltenen zu sein. Auf Bund online war sogar eine Bildstrecke zu sehen, welche gezeigt hat, dass Festgenommene auf dem Polizeiposten regelmässig die Hosen runterlassen müssen. Ob diese Leute dadurch nicht viel eher radikalisiert als eingeschüchtert werden, sei jetzt mal dahingestellt.
Auch in diesem Punkt ist das kantonale Polizeigesetz übrigens glasklar formuliert: „Eine Entkleidung der betroffenen Person ist nur zulässig, wenn dies für die Abwehr von Gefahr für Leib und Leben unerlässlich ist“. (Art. 36, Abs. 2) Welche Gefahr sich unter den Röcken von minderjährigen Mädchen versteckt hat, kann der Sicherheitsdirektor sicherlich ausführen.
Reto Nause hat hier vor einem Monat von verängstigten Kindern erzählt, die flüchten mussten. Falls diese sehr umstrittenen Behauptung tatsächlich zutreffen sollte, stellt sich die Frage, ob sie tatsächliche die Präsenz von eine paar Jugendlichen dermassen verängstigt hat, oder nicht viel eher, dass diese Leute wie Schwerverbrecher von der Polizei abgeführt wurden. Und zwar weil sie – man höre und staune – sich auf dem Bundesplatz hingesetzt haben.
Wie immer wenn es die Berner Polizei mal wieder übertrieben hat, heisst es vom Reto Nause reflexartig, es sei also alles völlig angemessen und verhältnismässig gewesen. Ob das in diesem Fall auch der Meinung des Gesamtgemeinderates entspricht, darf sicher angezweifelt werden - gerade wenn man die Antworten auf die verschiedenen Vorstösse genau liest.
Eine Untersuchung ist aus Sicht der SP-Fraktion absolut zwingend - und zwar sicher nicht von derjenigen Staatsanwaltschaft, welche selbst die unverhältnismässigste aller Massnahmen angeordnet hat, sondern von einer unabhängigen Instanz, die zwischen individuellen Grundrechten und dem vermeintlichen Schutz privater Anlässe im öffentlichen Raum sauber abwägen kann.
Wir machen uns aber auch sonst Gedanken darüber, wie man das Problem lösen kann, dass sich die Kantonspolizei - flankiert durch den kantonalen und teilweise auch den städtischen Sicherheitsdirektor - Mal für Mal über die Vorgaben und Beschlüsse der demokratisch gewählten Mehrheit in dieser Stadt hinwegsetzt und ihre eigene politische Agenda verfolgt."
Danke Michael!