Rede von Charlotte Günther (JUSO) und Elia Gerber (JA!) am 1. Mai 2024 auf dem Bundesplatz
Wir haben heute die Ehre, eine Rede für die Jugend zu halten. Wobei es eigentlich nicht unbedingt eine Ehre ist, sondern viel mehr ein Auftrag. Ein Auftrag, um zwischen den Generationen zu vermitteln.
Wir haben es erst kürzlich im Abstimmungskampf zu den Rentenvorlagen gesehen: Die Bürgerlichen haben versucht, Alt gegen Jung auszuspielen und einen Generationenkonflikt heraufzubeschwören. In den Medien waren sie damit teilweise erfolgreich. Doch wie wir alle wissen, ging es bei diesen Abstimmungen nicht um einen Graben zwischen den Generationen. Es ging um Rückverteilung an die 99% und vor allem um Solidarität zwischen den Generationen. Verteilungsfragen gehen uns alle etwas an, egal ob wir noch in der Ausbildung sind oder bereits seit Jahrzehnten arbeiten.
Doch es gibt auch Unterschiede zwischen den Problemen der jüngeren und älteren Generationen. Junge Menschen sind unzufriedener, hoffnungsloser, und fühlen sich sozial unwohl. Das sollte uns jedoch nicht überraschen. Immer stärkerer Leistungsdruck, grösser werdende Schere zwischen Arm und Reich. Die Gesellschaft fordert enorm viel und bietet uns fast nichts. Lernende und Praktikant*innen werden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die offizielle Lohnempfehlung für Lernende in der Coiffeurbranche beträgt im ersten Lehrjahr nur 500 Franken! Statt einem Lohn, der zum Leben reicht, kriegen wir Leistungsdruck und psychische Probleme. Daneben steigen die Mieten und Krankenkassenprämien. Aufgrund der hohen finanziellen Belastung gehen junge Menschen vermehrt nicht mehr zur ärztlichen Untersuchung. Das ist fatal! Mehr Armut, die eskalierende Klimakrise, Kriege überall – wir stehen vor unzähligen Herausforderungen und die Zukunftsaussichten sind nicht besser. Wir fühlen uns, als würde uns ein riesiger Scherbenhaufen überlassen.
Es gibt jedoch viel mehr, was uns Arbeiter*innen verschiedener Generationen verbindet, als was uns unterscheidet. Wir alle spüren, egal ob jung oder alt, dass wir am Monatsende immer weniger Geld übrig haben, während das eine Prozent immer fettere Profite einstreicht, wir hören, dass queerfeindliche und rassistische Vorfälle zunehmen, wir sehen, dass in Psychiatrien der Rotstift angesetzt wird, obwohl die Anzahl psychisch erkrankter Menschen immer weiter ansteigt.
Doch auch angesichts all dieser Missstände bei uns und auf der ganzen Welt dürfen wir uns nicht von rechter Hetze und Angstmacherei spalten lassen. Davon profitieren nämlich nur die Superreichen, die für diese Missstände eigentlich verantwortlich sind. Stattdessen müssen wir in Solidarität mit allen Menschen stehen, die die direkten Auswirkungen der globalen Krisen noch viel stärker spüren als wir. Mit Menschen, die Genozide durchleben, ihre Lebensgrundlagen bereits jetzt durch Umweltkatastrophen verlieren oder aus westlicher Gier ausgebeutet werden.
Lasst uns – anders als einige Parlaments- und vor allem Bundesratsmitglieder, die sich selbst als links bezeichnen und offiziell linken Parteien angehören – Rückgrat zeigen und unsere Werte und die Menschen, die auf uns zählen, nicht verraten!
Denn der wirkliche Graben liegt nicht zwischen Menschen mit und ohne Schweizer Pass, zwischen Menschen dies- und jenseits unserer Grenzen oder zwischen Alt und Jung. Der wirkliche Graben liegt zwischen oben und unten, das wirkliche Problem ist unser kapitalistisches, rassistisches und patriarchales System, welches wir gemeinsam überwinden müssen. Der Kampf für eine bessere Zukunft, eine Zukunft, die für alle Menschen lebenswert ist, ist Klassenkampf. Und wir können ihn nur gewinnen, wenn wir uns organisieren und zusammenstehen. Und genau deshalb sind wir heute hier. Gemeinsam für bessere Bedingungen in der Ausbildung, gemeinsam für tiefere Prämien, gemeinsam für höhere Löhne und Renten, gemeinsam für eine menschenorientierte Gesundheitsversorgung, gemeinsam für Klimagerechtigkeit, gemeinsam für unsere Zukunft!
In diesem Sinne: Es lebe die intergenerationelle und internationale Arbeiter*innensolidarität, es lebe der 1. Mai!