Interpellation Polizeigewalt an der Demo vom 24. Mai 2025

Am 24. Mai 2025 demonstrierten knapp 2000 Menschen in Bern gegen den Genozid in Gaza. Gegen die Demonstrant*innen wurde von der Polizei starke Repression eingesetzt. Deshalb haben wir heute im Stadtrat eine Interpellation zu diesem Polizeieinsatz eingereicht:

Überparteiliche Interpellation Polizeigewalt an Palästina-Demo

Fragen

Der Gemeinderat wird um Beantwortung folgender Fragen gebeten:

  1. Welche strategischen Vorgaben hat der Gemeinderat (Sicherheitsdirektor Alec von Graffenried oder Gesamtgemeinderat) im Vorfeld der Demonstration an die Kantonspolizei aufgestellt?
  2. Hat Alec von Graffenried als Direktor der SUE die strategischen Vorgaben an die Kantonspolizei im Vorfeld dem Gesamtgemeinderat zum Beschluss vorgelegt?
  3. Hat der Gemeinderat im Nachgang die Chef*in der Regionalpolizei Bern eingeladen und sich Rechenschaft geben lassen? Falls ja, was wurde besprochen? Falls nein, gedenkt der Gemeinderat, dies noch zu tun und darüber zu berichten?
  4. Laut Berichten von Augenzeug*innen zielte die Polizei mit Gummigeschossen auf Kopfhöhe. Die Richtlinien der Kantonspolizei Bern halten fest, dass die Oberschenkelmitte Zielpunkt sein muss. Demnach hätte die Kantonspolizei die für sie geltenden Richtlinien betreffend Zielpunkt nicht eingehalten. Hat sich der Gemeinderat zu diesem Punkt Rechenschaft von der Chef*in der Regionalpolizei Bern geben lassen? Falls nein, ist er bereit, zu diesem Punkt Rechenschaft einzufordern und darüber zu berichten?
  5. Eine Videoaufnahme zeigt, dass die Kantonspolizei Bern die Mindestdistanz von 10 Metern zum Abfeuern von Gummischrot bei der Kirchenfeldbrücke teilweise nicht eingehalten hat. Eine Unterschreitung der Mindestdistanz ist nur bei Notwehr oder bei einer Notwehrhilfe gerechtfertigt. Ein Fall von Notwehr resp. Notwehrhilfe kann vorliegend ausgeschlossen werden. Bei der Kirchenfeldbrücke lag erst ein Sperrauftrag vor. Zu diesem Zeitpunkt kann es noch nicht um den physischen Schutz einer Botschaft gegangen sein. Damit hat die Kantonspolizei die für sie geltenden Richtlinien nicht eingehalten. Hat sich der Gemeinderat zu diesem Punkt Rechenschaft von der Chef*in der Regionalpolizei Bern geben lassen? Falls nein, ist er bereit, zu diesem Punkt Rechenschaft einzufordern und darüber zu berichten?
  6. Die Polizei hat Schlagstöcke eingesetzt. Auf Videoaufnahmen sind Überkopf-Schlagbewegungen erkenntlich, die geeignet sind, Menschen am Kopf zu verletzen. Schläge mit Schlagstöcken sind gefährlich: Im Lehrmittel “Persönliche Sicherheit” des Schweizerischen Polizei-Instituts (SPI) wird der Kopfbereich der roten Zone zugewiesen, bei welcher grosse Verletzungsgefahr herrscht. Schläge mit Schlagstöcken auf diese Zone sind erst dann gerechtfertigt, wenn die entgegengebrachte Gewalt «Schusswaffen», «Schlag­waffen» oder «lebens­bedrohliche Schläge/Fusstritte/Stösse» beinhaltet. Die Aufnahmen zeigen, dass die Polizei nicht auf diese Art angegriffen wurde und die Gesundheitsgefährdung durch Überkopfschläge unverhältnismässig war. Hat sich der Gemeinderat zu diesem Punkt Rechenschaft von der Chef*in der Regionalpolizei Bern geben lassen? Falls nein, ist er bereit, zu diesem Punkt Rechenschaft einzufordern und darüber zu berichten?
  7. Nach Berichten von Augenzeug*innen setzte die Polizei auch gegen den Familienblock Pfefferspray ein. Stuft der Gemeinderat dies als verhältnismässig ein? Hat er sich zu diesem Punkt Rechenschaft von der Chef*in der Regionalpolizei Bern geben lassen? Falls nein, ist er bereit, zu diesem Punkt Rechenschaft einzufordern und darüber zu berichten?
  8. Die Demonstrierenden wurden nicht frühzeitig über den Einsatz von Mitteln, mittels Aufruf, gewarnt. Stuft der Gemeinderat dies als verhältnismässig ein? Hat er sich zu diesem Punkt Rechenschaft von der Chef*in der Regionalpolizei Bern geben lassen? Falls nein, ist er bereit, zu diesem Punkt Rechenschaft einzufordern und darüber zu berichten?
  9. Nach Angaben der Kantonspolizei wurden sechs Polizist*innen bei diesem Einsatz verletzt. Hat sich der Gemeinderat bei der Chef*in der Regionalpolizei Bern informiert, um welche Arten von Verletzungen es sich handelt? Falls nein, ist er bereit, dies zu erfragen und darüber zu berichten?
  10. Hat sich der Gemeinderat bei der Chef*in der Regionalpolizei Bern informiert, wie viele Demonstrationsteilnehmende oder Passant*innen durch den Polizeieinsatz verletzt wurden und um welche Arten von Verletzungen es sich handelt? Falls nein, ist er bereit, dies zu erfragen und darüber zu berichten?
  11. Muss der Einsatz als “Praxiswechsel” im Umgang mit unbewilligten Demonstrationen in Bern gewertet werden?
  12. Schätzt der Gemeinderat, wie der Sicherheitsdirektor, den Polizeieinsatz insgesamt als verhältnismässig ein?
  13. In einem Bund-Interview beschreibt Sicherheitsdirektor Alec von Graffenried die Stimmung der Demonstration als “faschistisch”. Kann der Gemeinderat darlegen, inwiefern Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung und berechtigte Wut gegen die Untätigkeit der Staatengemeinschaft als “faschistisch” einzuordnen sind? Distanziert sich der Gemeinderat von diesem Faschismus-Vorwurf ihres Sicherheitsdirektors?

Begründung

In Gaza findet ein Genozid statt. Seit dem 8. Oktober 2023 sind über 54’607 Menschen im Gazastreifen von den Israel Defense Forces (IDF) ermordet worden. Am 24. Mai kamen rund 2’000 Menschen - darunter viele Familien mit Kindern - in Bern zusammen, um gegen diese unmenschlichen Völkerrechtsverletzungen zu demonstrieren. Die Demonstration war unbewilligt, doch das schliesst ihren grund- und menschenrechtlichen Schutz nach Art. 16 und 22 BV, Art. 10 und 11 EMRK sowie Art. 19 und 21 UNO-Pakt II nicht aus. Die polizeiliche Anordnung, eine Demonstration aufzulösen, darf nur als ultima ratio erfolgen. Statt zu deeskalieren, hat die Kantonspolizei an der besagten Demonstration ohne Vorwarnung auf massive und brutale Repression gesetzt und dabei nicht davor zurückgeschreckt, auch Kinder oder ältere Personen zu gefährden. Dabei darf die Polizei die Gesundheit von Personen nicht in erheblichem Masse gefährden, wenn diese Personen nicht selber aktive oder gar lebens­bedrohliche Gewalt anwenden. Es stehen Vorwürfe im Raum, die Polizei habe die Situation mutwillig eskalieren lassen, bloss um zu verhindern, dass die Demonstration Richtung Kirchenfeld, resp. Richtung Monbijou laufen kann. Der Gemeinderat der Stadt Bern und insbesondere der Sicherheitsdirektor Alec von Graffenried tragen eine Mitverantwortung für die Geschehnisse und werden daher gebeten, Stellung zu den oben genannten Fragen zu nehmen.

Dringlichkeit

Wird für den Vorstoss Dringlichkeit verlangt? ja x nein ☐

Kurze Begründung:

Der Gemeinderat hat die Möglichkeit die Chef*in der Regionalpolizei an eine Sitzung einzuladen und sich Rechenschaft über den besagten Polizeieinsatz geben zu lassen. Falls diese noch nicht stattgefunden hat, müsste sie bald stattfinden. Es ist relevant, dass der Gemeinderat die in der Interpellation aufgeworfenen Fragen in dieser Sitzung bespricht.

Die Interpellation zum herunterladen (inklusive Quellenangaben):

Interpellation